Die heutige Entwicklung der Potsdamer Mitte ist ein Ergebnis der friedlichen Revolution von 1989 Diesen Weg weiterzugehen, wird sich positiv auf die Stadtgesellschaft auswirken.
Von Christian Seidel
Der Autor war in der Wendezeit und für die SPD von 1994 bis 2010 Mitglied der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung. Dort leitete er jahrelang den Bauausschuss.
Suchet der Stadt Bestes“ – diese außergewöhnliche Ausstellung des Vereins Argus wurde am 10. September 1989 in der Nikolaikirche eröffnet. Unter hohem persönlichen Einsatz hatten die beiden Potsdamer Michael Heinroth und Michael Zajons in den Jahren 1988/89 den verheerenden Zustand der Innenstadt abseits der (heutigen) Brandenburger Straße und die Verluste an historischer Bausubstanz seit dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Die Fotos trafen den Nerv vieler Potsdamer. In vier Wochen zählte die Ausstellung 10 000 Besucher. In der Tat wuchs gerade auch in Potsdam Ende der 1980er-Jahre die Unzufriedenheit mit der sozialistischen Baupolitik.
Städtebau und Architektur waren eine Domäne der „Partei“. Parteitage gaben die Grundlinie vor. Bis Ende der 1950er galt das Leitbild „Deutsche Stadt“. Trotz großflächiger Zerstörungen nahm man Rücksicht auf den historischen Stadtgrundriss. Die Wilhelm-Staab-Straße wurde wieder aufgebaut; in der Yorckstraße entstanden angepasste Neubauten.
Nach dem Beschluss zur Neugestaltung der Stadtzentren von 1958 begann die Veränderung des Stadtgrundrisses. Angebliche „moderne Verkehrslösungen“, seinerzeit im Trend der autogerechten Stadt, gepaart mit ideologischen Begründungen führten zum Abriss wiederaufbaufähiger Ruinen, wie zum Beispiel Stadtschloss und Garnisonkirche. Mit der 1967 proklamierten Erneuerung der Zentren von Bezirksstädten „von innen heraus“ drohten für Potsdam noch gravierendere Folgen. Geplant waren drastische Eingriffe in die historische Bausubstanz; der traditionelle Stadtgrundriss wurde bewusst ignoriert. Der Charakter der Stadt hätte sich gänzlich verändert – man stelle sich etwa Hochhäuser im Holländischen Viertel vor. Glücklicherweise scheiterten die meisten dieser Pläne am sozialistischen Ressourcenmangel.
Friedliche Revolution als Protest gegen verordneten Städtebau der DDR
Im Rahmen der proklamierten „Lösung der Wohnungsfrage“ begann ab Mitte der 1970er-Jahre auch eine Hinwendung zum innerstädtischen Bauen. Abgesehen von der Brandenburger Straße jedoch nicht durch Instandsetzung und Modernisierung der Bausubstanz, sondern durch politisch verordneten Neubau. Die Umgestaltung der Innenstadt sah von Jahr zu Jahr mehr Abbrüche vor, obwohl das Gebiet inzwischen als „Denkmal von nationaler und internationaler Bedeutung“ eingetragen war. Längs eines überdimensionierten Teilstücks der Friedrich-Ebert-Straße entstand das für die Potsdamer Innenstadt maßstablose und struktursprengende Lehrerbildungsinstitut, zuletzt ein Gebäude der Fachhochschule.
In dieser Situation bricht im Herbst 1989 die DDR-Endzeit an. Als ein Mobilisierungsfaktor der friedlichen Revolution kann in Potsdam neben den allgemeinen politischen Missständen der Protest gegen den von der „Partei“ verordneten Städtebau gelten. Nach der ersten freien Kommunalwahl vom Mai 1990 steht die Stadtverordnetenversammlung vor einer riesigen Zahl brennender Tagesprobleme; trotzdem fasst sie bereits am 24. Oktober des gleichen Jahres den langfristigen Grundlagenbeschluss für das Ziel der Stadtentwicklung in der Potsdamer Mitte, nämlich die „behutsame Annäherung an den historischen Stadtgrundriss“. (Da heute verschiedene Interpretationen des Begriffs „behutsam“ kursieren, sei die Lektüre der damaligen Begründung empfohlen: Sie stellt nämlich klar, dass es dabei um die Annäherung an die maßstabgebende, kleinteilige Parzellenstruktur geht.) Nur wenige Monate später wird Anfang 1991 mit dem Beschluss zum Abriss des Theater-Rohbaus ein erster, aber unverzichtbarer Schritt auf dem Weg zur „behutsamen Annährung“ vollzogen.
“Behutsame Annäherung” an die historische Mitte
Schon im Frühjahr 1991 findet in Potsdam ein erstes internationales Architektenseminar statt. Für sieben Gebiete der Innenstadt werden Planungsideen erarbeitet. Für den Alten Markt schält sich ein Grundsatz heraus: „maßstabbrechende Gebäude in der Umgebung der Nikolaikirche werden abgerissen und durch sensiblere Raumstrukturen ersetzt“. Als Folgerung für die Potsdamer Stadtplanung in den nächsten fünf bis zehn Jahren formuliert der damalige Stadtrat für Stadtentwicklung Dr. Peter von Feldmann: „Nichts zu tun, was der späteren Verwirklichung der Vision vom lebendigen alten Potsdam … entgegenstehen könnte, damit unsere Nachfolger entschlossen ans Werk gehen mögen.“
Diesem Ratschlag folgen glücklicherweise Politik und Verwaltung. Mit jeweils etwa Zweidrittelmehrheit werden mehrfach Konkretisierungen auf dem Weg zur „behutsamen Annährung“ an die historische Mitte beschlossen. Mit dem Landtag im Stadtschloss und der Bebauung der Humboldtstraße unter anderem mit dem Museum Barberini sind erste Früchte gereift. Von Potsdamern und Gästen der Stadt werden sie in großer Zahl angenommen. Urbanes Leben ist sichtbar eingezogen. Für mich wäre es deshalb absolut unverständlich, warum der erfolgreiche Weg von mehr als 25 Jahren Stadtreparatur und -entwicklung abgebrochen werden sollte.
Diskussionen zu Potsdams Mitte gehören zum Wesen der Demokratie
Im Rahmen des Europäischen Jahrs der Stadterneuerung fand 1981 eine Tagung „Bauen in der alten Stadt“ in Aachen statt. Viele Aussagen der Schlusserklärung sind unkommentiert noch heute aktuell. Aus gegebenem Anlass zitiere ich: „Die Erhaltung und Erneuerung des geschichtlichen Erbes darf nicht auf Kosten sozialer Ziele gehen … Erhaltung und Erneuerung geschichtlich geprägter Bereiche sind als langfristige Entwicklungsaufgaben anzusehen, die nur auf der Grundlage des Konsens zwischen Politikern, Bürgerschaft, Verwaltung und Fachleuten lösbar ist.“ Mit dem „Kompromissbeschluss“ zur Potsdamer Mitte vom 14. September 2016 scheint mir ein beachtlicher Schritt auf dem Weg zu einem breiten Konsens gelungen. Ein Ergebnis von nur drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen bei einem Antrag zur Potsdamer Mitte stellt eine neue Qualität dar. Sicher wird es weiter Diskussionen zur Stadtentwicklung und insbesondere zur Mitte geben – das ist das Wesen der Demokratie. Aber ich bin überzeugt, dass der gefundene politische Kompromiss, für dessen Zustandekommen ich dem Oberbürgermeister und dem Fraktionsvorsitzenden der Linken Respekt zolle, eine nachhaltig positive Wirkung auf das Klima der Stadtgesellschaft entfalten wird.