Am 19.10. 2022, 19 Uhr, fand im übervollen großen Saal des Potsdam Museum die Mitteschön-Veranstaltung
„Sprechen wir nochmal über Preußen“ statt
Die Diskussion um die Garnisonkirche und ihrer preußischen Vergangenheit lässt in Potsdam die Gemüter hochkochen. Die Wahrnehmung von Preußen ist dabei sehr unterschiedlich. Das tendiert von Verteufelung bis zum Heroischen. Doch Preußen ist aus der Potsdamer Geschichte nicht wegzudenken. Leider herrscht im Allgemeinen eine undifferenzierte Sicht auf diesen untergegangenen Staat, der so vielschichtige Facetten aufwies, die bis in die Heutzeit hineinwirken und über die es sich zu diskutieren lohnt.
Herr Wilfried von Tresckow, ein entfernter Verwandter Henning von Tresckows, einem Mann des 20.Juli 1944, dem Attentat auf Hitler, gab mit dem Angebot seines Vortrages
„Der andere Geist von Potsdam“ einen willkommenen Anlass dazu.
Epilog (nicht im Vortrag, nur verteilt in der gedruckten Version!) Anlässlich der Konfirmation seiner Söhne Mark und Rüdiger hatte Henning von Tresckow am 11. April 1943 in der Garnisonkirche eine Ansprache an sie gerichtet: „Vergesst niemals, dass ihr auf preußischem Boden und in preußisch-deutschen Gedanken aufgewachsen und heute an der heiligen Stätte des Preußentums, der Garnisonkirche eingesegnet seid. Es birgt eine große Verpflichtung in sich, die Verpflichtung zur Wahrheit, zu innerlicher und äußerlicher Disziplin, zur Pflichterfüllung bis zum Letzten. Aber man soll niemals vom Preußentum sprechen, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich damit nicht erschöpft. Es wird sooft missverstanden. Vom wahren Preußentum ist der Begriff der Freiheit niemals zu trennen. Wahres Preußentum heißt Synthese zwischen Bindung und Freiheit, zwischen selbstverständlicher Unterordnung und richtig verstandenem Herrentum, zwischen Stolz auf das Eigene und Verständnis für Anderes, zwischen Härte und Mitleid. Ohne diese Verbindung läuft es Gefahr, zu seelenlosem Kommiss und ehrgeiziger Rechthaberei herabzusinken.
Nur in dieser Synthese liegt die deutsche und europäische Aufgabe des Preußentums, liegt der ‚preußische Traum‘. Man kann das gerade jetzt nicht ernst genug betonen und ebenso, dass von solch preußisch-deutschem Denken das christliche Denken gar nicht zu trennen ist. Es ist ein Fundament, und hierfür ist unsere alte Garnisonkirche das Symbol“
Grüne Architekten versuchen, die Rekonstruktion eines der bedeutendsten Bauwerke des Architekturgenies Karl Friedrich Schinkel zu verhindern. Warum bloß? Hassen Menschen, die politisch links stehen, das Schöne?
Hassen Menschen, die politisch links stehen, das Schöne? Ich ziehe die Frage zurück. Lassen Sie mich sie anders stellen: Haben Linke ein besonderes Problem mit wohlgefälligen Proportionen?
Ich bin bei der Lektüre der Zeitungen auf einen Bauskandal gestoßen. Die Beteiligten: Karl Friedrich Schinkel, Baumeister und Stadtplaner, sowie die Bundesstiftung Bauakademie, ein Forum vor allem grüner und auch sonst in jeder Hinsicht fortschrittlich gesinnter Architekten.
Architektur ist wie Pornografie
Schinkel ist vermutlich der beste Architekt, den Deutschland je hatte. Wir verdanken ihm die Neue Wache am Boulevard Unter den Linden, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt und das Alte Museum neben dem Dom. Mit guter Architektur verhält es sich wie mit Pornografie. Es ist nicht immer leicht zu sagen, was sie ausmacht, aber wenn man davorsteht, erkennt man sie sofort.
Das bedeutendste Gebäude, das Schinkel errichten ließ, ist die Berliner Bauakademie, ein für das 19. Jahrhundert revolutionärer Ziegelbau, der nach einem Fliegerangriff im Februar 1945 erst ausbrannte und 1962 dann vom DDR-Regime abgerissen wurde. Bei jeder Straßenumfrage votiert eine klare Mehrheit für den Wiederaufbau, weshalb der Bundestag vor sechs Jahren einen entsprechenden Beschluss fasste und auch 62 Millionen Euro zur Verfügung stellte, um dem Bürgerwillen Rechnung zu tragen.
Eine eindeutige Entscheidung des Souveräns, Geld für die Rekonstruktion des geliebten Gebäudes: Ende gut, alles gut, sollte man meinen – tja, wenn da nicht die Architekten von der ins Leben gerufenen Bundesstiftung Bauakademie wären, die finden, dass Karl Friedrich Schinkel nicht mehr recht in die Zeit passt: zu alt, zu reaktionär und auch nicht ökologisch bewusst genug.
Wiederaufbau: schrecklich rückwärtsgewandt
Deshalb soll statt der Rekonstruktion jetzt ein Haus mit „Reallaborcharakter“ her, das sich einer „ganzheitlichen, nachhaltigen Planung und Bauweise“ verpflichtet fühlt. Ja, ein Haus, das bei näherer Betrachtung gar kein profaner Hausbau mehr ist, sondern eine „offene Wissens- und Dialogplattform“: gesellschaftlich vorbildlich, sozial bewusst und natürlich „klimaresilient“, das vor allem. So hat es ein vierzigköpfiger „Thinktank“ samt „Bürger*innenwerkstatt“ entschieden.
Wie sich das Vorhaben mit dem Beschluss des Bundestages zum Wiederaufbau verträgt? Ganz einfach, man plant nun ein Gebäude „im Sinne Schinkels“. Mit dieser genial-verschlagenen Formulierung ist alles möglich, selbst die Errichtung eines ökologisch korrekt begrünten Messezentrums.
Es scheint geradezu ein Naturgesetz zu sein: Kaum fällt irgendwo in Deutschland der Entschluss, ein altes Gebäude wieder aufzurichten, findet sich ein Chor von Kritikern, der in Wehklagen einstimmt, warum das schrecklich rückwärtsgewandt, um nicht zu sagen irgendwie rechts sei.
Die Argumente sind immer die gleichen: Die Rekonstruktion sei fantasielos und geschichtsvergessen, ein Misstrauensantrag gegenüber der Moderne, dem man sich schon aus Gründen der historischen Verantwortung entgegenstellen müsse. Lässt man der Diskussion etwas Zeit, taucht mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit der Hinweis auf den Nationalsozialismus auf, in dem alle bürgerliche Fassadensehnsucht angeblich unweigerlich endet.
Provokation der Schönheit
So war es in Dresden, als sich ein Bürgerverein entschloss, gegen den Rat der Architektenzunft die zerstörte Altstadt möglichst originalgetreu wieder aufzubauen. So war es in Frankfurt, wo die alten Bürgerhäuser am Römer gegen den Konkurrenzentwurf aus Glas und Stahl obsiegten. Und so war es natürlich bei dem größten Sündenfall, der Wiedererrichtung des Hohenzollernschlosses in Berlin. Eine Säule zu viel und man steht mit beiden Beinen wieder im Dritten Reich: Deshalb belässt man es am besten bei einer glatten Fassade, ganz ohne Pomp und Putz.
Auch mit dem Wiederaufbau kehrt nicht etwa Ruhe ein. Das Stadtschloss steht nach sieben Jahren Bauzeit, eine Provokation der Schönheit für alle, die dagegen stritten. Jetzt geht es gegen die Inschrift, die sich, golden auf blauem Grund, um die Kuppel zieht. Es sind Bibelzitate, wie das im 17. Jahrhundert nun einmal üblich war. Nicht weltoffen genug und deshalb unangemessen, befindet Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die die Bibelworte überblenden lassen will.
Fragt man das Publikum, fällt das Votum meist eindeutig aus. Die Menschen, die zwischen den Würfeln leben müssen, die ihnen die moderne Architektur beschert, erfreuen sich hundertmal mehr an den Fassaden der Frankfurter Bürgerhäuser oder der Kuppel des Stadtschlosses als an einem der Steinquader, wie sie zu Tausenden über Deutschland abgeworfen werden.
Immer Gefahr im Verzug
Der Laie fragt auch nicht, ob sich hinter jeder Fassade wirklich ein gemauerter Baukörper verbirgt oder vielleicht doch nur profaner Beton. Er ist schlicht froh, dass das Auge an Simsen und Brüstungen Halt findet, statt haltlos über Stein und Glas zu gleiten. Aber schon das macht die Rekonstruktion aus Sicht der Experten verdächtig: Wo der einfache Mensch vorbehaltlos zustimmen kann, ist immer Gefahr im Verzug.
Interessanterweise gibt es eine starke Verbindung zwischen dem Faible für architektonischen Purismus und politischer Gesinnung. Ich erinnere mich an ein Abendessen, bei dem ich vor vielen Jahren mit dem ZDF-Chefredakteur und überzeugten Sozialdemokraten Peter Frey über die Stuckabschlagsprämie ins Gespräch kam, die sozialdemokratische Kommunalpolitiker ausgelobt hatten, um Altbauten in Westberlin von allem Tand zu befreien. Mit Spritzbeton gegen bourgeoise Gesinnung, was für eine absurde Veranstaltung, sagte ich. Worauf Frey antwortete, er finde glatte Wände auch schöner. Mir verschlug es kurzzeitig die Sprache, was bei mir nicht oft vorkommt.
Die Verachtung für das Ornament ist umso erstaunlicher, als die Verächter desselben in ihrem privaten Umfeld nichts gegen Stuckleisten oder Schnörkel einzuwenden haben. Ganz im Gegenteil. Würde man eine Untersuchung über den Wohnort der Rekonstruktionsgegner in Auftrag geben, käme sie unweigerlich zu dem Ergebnis, dass die größten Befürworter modernen Bauens in den Altbauetagen anzutreffen sind, an deren Decke sich genau das an Verzierung wiederfindet, was sie in schwungvollen Artikeln geißeln.
Monstrosität in Berlin
Umgekehrt hingegen erhebt sich nie ein Empörungssturm, wenn die Errichtung eines weiteren Geschäfts-Glaskastens oder Sandstein-Silos ansteht. So kommt es völlig ungehindert zu kolossalen Scheußlichkeiten, die dann Mosse-Palais oder Riem-Arcaden heißen und mit Palais und Arkade so viel tun haben wie eine Bulldogge mit einem Windhund.
Nur wenn sich einer der politischen Entscheidungsträger zufällig in die Nähe verirrt, findet der steingewordene Albtraum Beachtung. Es gibt die schöne Geschichte, wie der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins Klaus Wowereit einmal vor dem Alexa zu stehen kam, einem rosafarbenen Betonkoloss in der Nähe des Alexanderplatzes, und sich erstaunt zeigte, wie eine solche Monstrosität hatte genehmigt werden können.
Ich bin noch nicht ganz dahintergekommen, warum so viele ästhetisch geschulte Menschen eine solche Abneigung gegen Stuckfassaden und Barockschnecken im öffentlichen Raum hegen. Vielleicht geht es ja um ein heimliches Distinktionsprogramm: Der Silobau für den Plebs, die Beletage exklusiv für einen selbst.
Oder man will als Architekt beweisen, dass man Avantgarde ist und damit zu Höherem berufen. Da passt natürlich keine Putte und kein Steinadler. Das kennt man aus der Geschichte, dass die intelligentesten Menschen ein Faible fürs Monströse haben können.
Das Gewachsene und Verschachtelte lässt wenig Raum für kühne Umgestaltungsträume. Deshalb liebt der Umgestalter ja auch so die Brache, auf der sich klotzen lässt. Leben müssen mit seinen Hinterlassenschaften dann andere.
Über den Autor
Susanne Krauss Jan Fleischhauer
Die Leser lieben oder hassen ihn, gleichgültig ist Jan Fleischhauer den wenigsten. Man muss sich nur die Kommentare zu seinen Kolumnen ansehen, um einen Eindruck zu bekommen, wie sehr das, was er schreibt, Menschen bewegt. 30 Jahre war er beim SPIEGEL, Anfang August 2019 wechselte er als Kolumnist zum FOCUS.
Fleischhauer selbst sieht seine Aufgabe darin, einer Weltsicht Stimme zu verleihen, von der er meint, dass sie in den deutschen Medien unterrepräsentiert ist. Also im Zweifel gegen Herdentrieb, Gemeinplätze und Denkschablonen. Vergnüglich sind seine Texte allemal – vielleicht ist es dieser Umstand, der seine Gegner am meisten provoziert.
Sie können unserem Autor schreiben: Per Mail an j.fleischhauer@focus-magazin.de oder auf Twitter@janfleischhauer.
Beitrag von Andreas Kitschke im Feuiletton der FAZ vom 1. November 2022 zum Thema: Die Potsdamer Garnisonkirche ist keine Weihestätte des Militarismus. Die Vollendung des Gesamtkunstwerkes Garnisonkirche Potsdam soll mit falschen historischen Argumenten verhindert werden.
12 Thesen für ein Nutzungskonzept des Kirchenschiffes der Garnisonkirche Potsdam
Die Vollendung des Gesamtkunstwerkes Garnisonkirche.
Das innerstädtische Bauvorhaben Garnisonkirche in Potsdam wird intensiv diskutiert – von den engagierten Anwohnern und den Bürgern der Stadt, von privaten Initiativen und politischen Akteuren, zwischen Experten in Geschichts- und Kulturwissenschaft, Stadtentwicklung, Denkmalschutz und Rekonstruktionsarchitektur.
Die Bürgerinitiative Mitteschön! hat sich den Bauten und dem Bauen in Potsdam und insbesondere der Entwicklung und Gestaltung seiner Mitte verschrieben.
Mit unserem neuen Ideenpapier wollen wir konstruktiv zur Debatte beitragen und die positiven Effekte darstellen, die ein Wiedergewinn der Garnisonkirche im Original für das architektonische Stadtbild, das Leben im Quartier und die Anziehungskraft der Kunst- und Kulturstadt Potsdam hervorruft.
Vor allem möchten wir aufzeigen, dass die thematische Ausrichtung einer als Bürgerkirche wieder erstandenen Garnisonkirche neue Perspektiven für einen bedeutenden Kultur- und Diskursort öffnet – mit Programmatik und Programm eines europäischen Hauses, das über historisch und lokal hinausgeht und vielfältig und zukunftszugewandt orientiert ist. Zukunft im Original.