Leserbrief in der PNN zum Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Make Potsdam schön again vom 9.4.2017.
„Der FH-Abriss ist ein Fehler“ vom 4. April und die anhaltende Debatte um die Potsdamer Mitte
Ich bin, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf, alter Potsdamer, seit 1953 mit Unterbrechungen und seit 1975 permanent in dieser Stadt lebend. Ich liebe diese, meine Stadt und habe seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts ihre architektonische Entwicklung mit großem Interesse verfolgt. Die Stadt war und ist auch heute noch eine der schönsten in Deutschland, dank ihrer geografischen Gegebenheiten, aber auch dank ihrer 200-jährigen städtebaulichen Entwicklung vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Gebaut und gestaltet während der Herrschaft mehr oder minder kluger preußischer Könige von äußerst talentierten Architekten und Baumeistern. Und deshalb fallen jährlich Hunderttausende oder sogar Millionen Touristen in die Stadt ein, um die weltberühmten Schlösser, Parks und sonstigen Sehenswürdigkeiten zu sehen und zu bestaunen.
Nun wurde ich aber in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eines Anderen belehrt. Was in der ferneren Vergangenheit gebaut und aus unterschiedlichsten Gründen teilweise verschwunden ist, war sowieso alles Mist, Fake, nur Kopien wirklich genialer Baumeister, um eine provinzielle Residenzstadt aufzumotzen. Die Villen (des 19. Jahrhunderts) natürlich „nicht so nobel wie ihre italienischen Vorbilder“, die Nikolaikirche, immerhin ein Bau von Persius und Schinkel, „brutal und kantig, aggressiv antibarocker Klassizismus“ und so weiter und so fort. Und nun das Schlimmste: „Das Stadtschloss ist ein Nachbau des frühen 21. Jahrhunderts. Der Barberini-Palast ist noch neuer.“ Ja, na und ? In 50 Jahren werden diese Rekonstruktionen ihre Patina angesetzt haben, so wie die wieder aufgebaute Altstadt von Warschau, der Campanile von San Marco in Venedig oder die Gebäude auf dem Römer und die Paulskirche in Frankfurt am Main. Schon jetzt entwickelt sich der fast völlig wieder aufgebaute Alte Markt zu einem zusätzlichen Touristen-Magneten in unserer Stadt.
„Und dann steht da, inmitten all der nachgemachten Fassaden, ein wirklich historischer Bau. Die Fachhochschule aus den frühen Siebzigern. … So leicht, und heiter, so modern und optimistisch!“ Da bin ich sprachlos. So habe ich dieses Gebäude noch nie gesehen, obwohl ich seit den 70er-Jahren fast täglich an ihm vorbeigegangen bin. Für mich ist dieses Gebäude ein stinknormaler DDR-Bau und auf alle Fälle kein adäquater Ersatz für das, was dort in den Zeiten davor stand und was einmal dort stehen wird, wenn er in diesem Jahr verschwindet. Nicht einmal die Materialität war besonders: alles billiger Beton, nicht einmal glatter Gips …
Nun zur nächsten These der Autoren: „Es sind der aus Westdeutschland stammende Bürgermeister und ein paar sehr wohlhabende, ebenfalls aus dem Westen zugezogene Neu-Potsdamer, die hier ihre Vorstellung von einem preußischen Arkadien durchkämpfen, eine Vorstellung, die ihre Wurzeln im biederen westdeutschen Wendehammer-Dasein hat,…“ Das ist die Behauptung der Verfasser dieses Artikels, die nur so vor Arroganz trotzt. Denn eine Diskussion um die 1945 zerstörte Stadtmitte gab es schon von Anfang an. Es gab auch gute Ansätze beim Wiederaufbau in den 50er-Jahren. Aber dann wurde es ideologisch. Unter dem Motto „Weg mit dem alten Preußen, wir bauen eine sozialistische Bezirksstadt“ wurden die als Ruinen vorhandenen, aber durchaus wiederaufbaufähigen, stadtbildprägenden Bauwerke wie Stadtschloss, Garnisonkirche und repräsentative Bürgerhäuser gesprengt. Der größere Teil der unzerstörten innerstädtischen Bausubstanz wurde bis in die 80er-Jahre hinein dem Verfall preisgegeben. Die auch damals interessierte Potsdamer Bevölkerung wurde logischerweise nicht in diese Prozesse einbezogen. Wenn das geschehen wäre, würden wir heute nicht über den Abriss der Fachhochschule diskutieren. Dann wäre sie erst gar nicht gebaut worden. Die, die damals offen protestierten, wurden drangsaliert und mundtot gemacht. Und dann wurden in die entstehenden Brachen solche Klötze wie die Fachhochschule, der Staudenhof, das Rechenzentrum und einige andere Gebäude, die glücklicherweise schon wieder verschwunden sind, gesetzt. Es waren dann bereits 1990 die Potsdamer Bürger, die über ihre erstmals frei gewählte Stadtverordnetenversammlung einen Beschluss zur Behebung der schlimmsten städtebaulichen Sünden und zur weitestgehenden Annäherung der Potsdamer Mitte an die historische Stadtstruktur fasste.
Wolfram Maede, Potsdam