Die Fläche des Alten Marktes war in den frühen 60er Jahren mein Spielplatz, ebenso ein Loch in der Erde in dem sich die Grundmauern der Alten Post befanden. Hier stand das Grundwasser des verdrängten Kanals, Schilf wuchs hier und kleine Bäume, ein toller Abenteuerspielplatz. Zu den Kohlen im Keller in der Friedrich-Ebert-Straße 113, wo mussten wir aber einen Bretterweg legen, um heranzukommen, war für meine Eltern nicht so toll..
Der Kanal stank vor allem deshalb, weil der Durchfluss kriegszerstört, nur einige schwarze Tümpel zuließ. Hier wurden dann für die jetzt dort lebenden Ratten ganze Wohnungseinrichtungen abgekippt. Ich erinnere mich noch deutlich an ein altes Sofa. …. Aber die alten Kastanien ließen noch immer ihre schweren blühenden Äste hängen.
An der gegenüberliegenden Seite verlief über die Grundmauern des zerstörten Eckhauses am Kanal ein Trampelpfad zum neuen Markt, dorthin , wo heute die moderne Adaption des ehemaligen Barockhauses steht.
Der Platz der Einheit hatte noch die Garten-Gestaltung der 30er Jahre mit mannshohen Hecken, doppelten Lindenreihen und dicken weißen Bänken zwischen üppigen Blumenrabatten. Die Fläche des Platzes war eine einzige große ruhige Wiese. An der Südseite befand sich ein beliebter Rosengarten, ein Häuschen zum Verkauf von Straßenbahnfahrkarten war schlicht in Holz errichtet, hatte aber die Modernität der 30er Jahre. Über allem thronte im Sonnenlicht ruhig die Kuppel der Nikolaikirche. Insgesamt war der Platz eine tatsächliche Ruhestätte, vom Verkehr drum herum war durch den dichten Bewuchs nichts mitzukriegen. Hier saßen, anders als heute, vorwiegend die Alten.
Das Schloss war bereits komplett verschwunden, das Unkraut war für uns Kinder übermannshoch.
Im Lustgarten lagen gestapelt die Säulen der Kolonnade. Dort grub ich eine Ringelblume aus, die im Blumentopf und später im Garten meiner Eltern noch Jahre lang als Erinnerung an Potsdam überlebte. Der Neptun-Brunnen war noch erhalten, war aber bis zum Anschlag mit Hausmüll aufgefüllt. Wir turnten über alte Matratzen auf der Plastik rum.
Das ehem. Hotel zum Einsiedler war nur noch ein Erdhügel und diente uns als Rodelberg und wir wunderten uns immer über das einzelne Haus „Acht-Ecken“ …
Die Nikolaikirche hatte gerade erst ihre Kuppel wiederbekommen, Auf dem Alten Markt wurde gebuddelt und bleiche Knochen tauchten am Obelisken auf, wohl ein mittelalterlicher Pestfriedhofes wie uns gesagt wurde.
Etwas später zogen wir für einige Jahre in Richtung Berlin. Den Abriss der Garnisonkirche habe ich daher persönlich damals nicht so wahrgenommen, erinnere mich aber an entsprechende Diskussionen. 4 Jahre später war ich mal wieder in Potsdam, um zwei meiner alten Schulkumpels wiederzutreffen. Nun war der Bau der Fachhochschule in vollem Gange. Wir waren an der Baustelle und erschüttert über die riesigen Dimensionen. So was war man bisher nicht gewohnt. Der begleitende Vater des einen Jungen sagte noch: „Das war´s, meine Lieben, mit dem alten schönen Potsdam, alles vorbei, kommt nie wieder.“ Wir diskutierten noch darüber, wenn man sich schon damit abfinden musste, über eine mögliche „Schönheit“ der modernen Architektur. Nach unserem damaligen, nur emotional wirkenden und ideologisch unbeeinflussten Eindruck („Ost-Moderne!), wurde auch mit Hinweis auf die relativ filigrane Senkrechten-Betonung durch die Pfeiler die sichtbare Wirkung nicht besser. Der Vater hatte resigniert , wir waren als „Jugend voran“ auch nur wenig beeindruckt.
In diesem Zuge wurde auch noch, wie zur Bestätigung, desweiteren die Breite Straße großflächig abgetragen. Der Marstall des heutigen Filmmuseums sollte ebenso abgerissen werden. Wieder zurück in Potsdam war ich durch meine Arbeit regelmäßiger Besucher der Kantine der Studenten in der FH. Ab 16/17 Uhr etwa aber war Totentanz auf dem Gelände, kein „quirliges Treiben“ mehr zu sehen. An der Rückseite des Komplexes glich die Tiefgarage als Höhepunkt der Staudenhofachse eher einem Rattenloch. Dort hielt sich niemand auf.
Der ehemalige Brunnen mit seinem Bogen war als südliche Sichtblende für sich gesehen ganz originell, aber doch nur ein kümmerliches Alibi zum notwendigen architektonischen Anspruch der Anlage in einer Stadtmitte.
Solcher Art Geschichten und Erinnerungen könnten wohl von uns allen so weitergeführt werden.
Natürlich war so eine Ruinenlandschaft ein perfekter Abenteuerspielplatz. Wir konnten entdecken und ausprobieren, Tiere und Pflanzen beobachten und hörten dazu die „fantastischen“ Geschichten der Alten. Dies ist aber nur eine Zwischenzeit im Prozess der Veränderung und es gibt auch kein Grund die DDR-Zustände zu verklären.
In einem wesentliche Punkt haben aber auch Nostalgiker Recht. Wenn sich der Abenteuerspielplatz von heutigen Kindern und Jugendlichen auf die paar Quadratmeter „Freiland“ beschränken muss, dann ist das ein sehr trauriger Zustand, über den dringend nachgedacht werden muss.
Olaf Thiede